-Ein Interview mit Ralf Albers-
Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist seit jeher eines der Gründungsprinzipien der EU. Sie ist in Artikel 45 AEUV festgelegt und stellt ein Grundrecht der Arbeitnehmer dar.
Ende 2017 lebten oder arbeiteten 3,8 % der EU-Bürger (17 Millionen Menschen sowie 1,4 Mio. Pendler) in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen
Staatsangehörigkeit sie besitzen.
(vgl. Susanne Kraatz, 2020)
Ein Artikel von Manuel Suer, Klasse 10 des Gymnasium Papenburg
Auch in meinem Dorf (Aschendorfermoor) begegne ich täglich vor allem Menschen aus Rumänien, die für einige Zeit in den Gärtnereien tätig sind. Um aus erster Hand mehr darüber zu erfahren, traf ich mich mit einem Leiter eines Gartenbaubetriebes vor Ort und dabei entstand dieses Interview:
Was gefällt dir an der Arbeit als Leiter eines Gartenbaubetriebes? Warum hast du dich für diesen Beruf entschieden?
Wenn du selbständig bist, bist du dein eigener Chef und kannst alles selbst entscheiden. Wir sind hier so reingewachsen. Unsere Eltern hatten schon den Betrieb, da ist man damit groß geworden. Und es hat Spaß gemacht. So habe ich festgestellt, dass ich den Beruf gerne mache.
Seit wann bist du im Geschäft und was baust du hauptsächlich an?
Ich habe diesen Betrieb im Jahr 2000 von meinem Vater übernommen. Zunächst haben wir überwiegend Kräuter angebaut, aber 2017 sind wir umgestiegen auf Tomaten und Kräuter und seit 2019 bauen wir statt Kräuter, nun Gurken an.
Wie groß ist dein Betrieb? Wie viele Beschäftigte hast du?
Unser Betrieb ist 2,5 Hektar groß, das bedeutet 1,3 ha Tomatenfläche und gut 1,2 ha Gurken. Ich beschäftige im Durchschnitt so 18 Mitarbeiter.
Wie wichtig sind die Arbeitskräfte aus dem EU Binnenmarkt für deinen Betreib? Warum keine deutschen Mitarbeiter?
Die Arbeitskräfte aus dem EU Binnenmarkt sind sehr wichtig für mich. Deutsche Mitarbeiter sind schwer zu bekommen. Die wollen diese Arbeit nicht. Wir müssen hier z.B. auch samstags arbeiten und die meisten deutschen Arbeiter sagen: „Freitag mittags ist für mich Feierabend.“ Ohne die osteuropäischen Saisonarbeitskräfte hätten wir hier riesen Probleme. Hier kann jeder arbeiten, der fleißig ist. Die Nationalität ist uns egal. Wir würden gerne Deutsche einstellen, aber… es ist schwierig.
Aus welchen Ländern stammen deine Arbeitskräfte aus dem EU Ausland?
Sie kommen aus Polen und Rumänien. Wobei viele Polen, die ich beschäftige, in Papenburg sesshaft sind. Da ist oft die Frau bei mir beschäftigt und der Mann ist in Papenburg im Handwerk tätig.
Die Mitarbeiter aus dem EU Binnenmarkt können nur drei Monate in Deutschland arbeiten. Gab es schon einmal die Idee oder die Möglichkeit Flüchtlinge, die ja vielleicht länger bleiben könnten, als Arbeitskräfte in deinen Betrieb einzusetzen?
Die EU Bürger könnten auch länger bleiben, wenn sie sich in Deutschland anmelden. Diese Regel bezieht sich nur auf Arbeitskräfte, die kurzfristig beschäftigt sind. Sie dürfen 70 Tage steuerfrei arbeiten und fahren dann wieder nach Hause. Es gilt auch: nur einmal 70 Tage. Sie dürfen nicht 70 Tage bei mir arbeiten und fahren dann zu dem nächsten Betrieb in Deutschland und arbeiten da weitere 70 Tage. Das geht nicht! Nach 70 Tagen müssten sie sozialpflichtig beschäftigt werden.
Wir müssen da immer sehr aufpassen, wenn die Spargel- und Erdbeersaison zu ende ist. Dann melden sich die ausländischen Mitarbeiter bei uns und wollen hier weiterarbeiten. Sie behaupten dann einfach, sie hätten noch keine Arbeit in Deutschland gemacht, aber wir würden dann Ärger bekommen und müssten Gelder zurückzahlen. Flüchtlinge haben bei mir noch nicht gearbeitet.
Was sind die Gründe der ausländischen Arbeitskräfte in Deutschland zu arbeiten?
Hier verdienen sie einfach mehr Geld als in Rumänien. Die meisten waren in Rumänien arbeitslos und kommen deshalb zum Arbeiten hier her. Wenn sie in Deutschland 2-3 Monate arbeiten, können sie anschließend von dem Geld, das sie hier verdient haben, in Rumänien ein halbes Jahr gut leben.
Man hört immer wieder von schlechten Bedingungen unter denen ausländische Arbeitskräfte leiden. Was sagst du diesen Kritikern? Was tust du, damit deine Arbeitskräfte gerne bei dir arbeiten?
Bei uns geht es eher familiär zu. Die Arbeitskräfte wohnen hier am Betreib in dem ehemaligen Haus meiner Eltern. Jeder hat ein eigenes Zimmer. Sie werden regulär bezahlt. Es ist kein Subunternehmer zwischengeschaltet, der auch noch an ihrer Arbeit mitverdienen würde. Sie arbeiten 8 Stunden am Tag. Teilweise sind es ganze Familien, die zu uns kommen. Man merkt, dass sich die Arbeiter hier wohlfühlen, weil sie immer wieder kommen und auch die Kinder ehemaliger Mitarbeiter kommen zu uns.
Die Mitarbeiter können jederzeit mit ihren Problemen zu uns kommen, in dringenden Fällen auch am Wochenende. Einmal z.B. hatte ein Arbeiter heftige Zahnschmerzen und dann ist meine Frau mit ihm am Wochenende nach Oldenburg zum Zahnarzt gefahren, damit er versorgt wird. Vor ein paar Wochen hatten wir eine Mitarbeiterin, die hier schwanger geworden ist und leider ihr Kind verloren hat. Auch da haben wir dafür gesorgt, dass sie ins Krankenhaus kommt und ärztlich betreut wird.
Hast du schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht mit ausländischen Mitarbeitern?
Haben wir auch, aber das hat nichts mit ausländischen Arbeitern zu tun, dass kann generell passieren, egal wer kommt. Wenn die Leute Spaß an der Arbeit haben, dann klappt es und wenn jemand keinen Spaß an der Arbeit hat, dann gibt es auch Probleme, Wir machen die Erfahrung, dass das nichts mit Nationalität zu tun hat.
Wir hatten einmal eine Familie hier, da hat die Mutter sehr gut gearbeitet, der Vater auch ganz gut, aber der Sohn hatte einfach keine Lust und hat kaum etwas getan. Als er dann das gleiche Gehalt wie alle anderen Mitarbeiter bekommen sollte, gab es natürlich Unfrieden unter den Mitarbeitern. Wir haben der Familie dann nahe gelegt abzureisen.
Welche besonderen Auflagen gelten in deinem Betreib für die Arbeitskräfte aufgrund der Corona- Krise?
Das sind Hygienevorschriften: Die Arbeiter müssen die Hände waschen, Handschuhe tragen und Abstand halten. Das gilt aber nicht nur wegen Corona, auch weil Gurken und Tomaten empfindlich sind. Da gibt es einen Virus der gefährlich für die Pflanzen ist. Aus dem Grunde haben wir Desinfektionsmatten an den Türen und Mittel zum Händedesinfizieren an den Eingängen. Wenn die Mitarbeiter in die Abteilungen gehen, müssen sie ihre Hände desinfizieren, natürlich auch, wenn sie zur Toilette gehen. Das sind alles Vorschriften, die wir sowieso schon haben, auch ohne Corona.. Seit Corona kam jetzt nur das Abstandhalten dazu. Von unserem Verband haben wir die Kriterien auch in jeder Landessprache übersetzt bekommen und es unseren Mitarbeitern ausgehändigt. Ich habe die Mitarbeiter aufgefordert, es sich jeden Tag immer wieder durchzulesen. Außerdem haben wir die Vorschriften im Betrieb ausgehängt, so dass alle immer wieder daran erinnert werden. Es gibt auch ein riesiges Plakat mit Sicherheitsvorschriften, die befolgt werden müssen.
Wir hatten Glück, dass unsere Mitarbeiter kurz vor dem Einreiseverbot zu uns gekommen sind. Für Arbeitskräfte, die jetzt einreisen, gelten strengere Vorschriften. Sie müssen sich untersuchen lassen. Bei der Einreise wird ein von den Arbeitergebern veranlasster Gesundheitscheck durch medizinisches Personal durchgeführt. Die Ergebnisse müssen dem örtlichen Gesundheitsamt mitgeteilt werden. Sie müssen in den ersten 14 Tagen strikt getrennt von den sonstigen Beschäftigten leben und arbeiten und dürfen das Betriebsgelände nicht verlassen.
Zu Beginn der Corona-Krise war nicht klar, ob Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Deutschland einreisen durften. Konnten du und deine Kollegen aus Papenburg politisch Einfluss nehmen und wenn ja, wie?
Wir sind in einem Verband (Fachgruppe Gemüsebau Norddeutschland), der unsere Interessen vertritt und der wurde dann bei der Politik vorstellig und hat deutlich gemacht, dass wir auf die ausländischen Mitarbeiter angewiesen sind. Es gab natürlich großen Druck auf die Politik durch die Spargelanbauer, so dass die Vorschriften von Seiten der Politik wieder gelockert wurden. Wenn wir hier als Gemüsebauern aus Papenburg alleine Einfluss nehmen wollten, hätten wir einen schweren Stand.
(Anmerkung: Ich duze Ralf Albers, da er ein Bekannter der Familie ist.)
Fazit
In dem Gespräch mit Ralf Albers wurde deutlich, dass die Gesetzesregelung der EU zur „Freizügigkeit der Arbeitnehmer“ von enormer Bedeutung für die Betreibe der Gartenbauzentrale ist. In Deutschland werden fast 300 000 Erntehelfer jährlich benötigt. 95% kommen, wie auch bei Ralf Albers aus Rumänien und Polen. Die Erntehelfer aus dem EU- Ausland sind also systemrelevant. Ein Einreiseverbot für die Erntehelfer in der Corona- Krise würde die diesjährige Ernte und den Fortbestand einiger Betreibe sicherlich gefährden. Allein mit deutschen Hilfskräften lässt sich die Ernte nicht sichern. Ralf Albers achtet darauf, dass die Hygienevorschriften und die Regelungen für die Unterbringung eingehalten werden, zum einem zum Schutz für seine Mitarbeiter aber auch, um die Ernte nicht zu gefährden.
Dass die Hilfskräfte immer wieder kommen, macht deutlich, dass die ausländischen Saisonkräfte bei der Familie Albers gut behandelt werden. Wenn Ralf Albers davon spricht, dass seine Arbeitskräfte „regulär bezahlt“ werden, meint er sicherlich den in Deutschland geltenden Mindestlohn von 9,35 Euro pro Stunde. Es mag sein, dass man in Rumänien davon gut leben kann, für deutsche Arbeitnehmer reicht es nicht, um gut leben zu können. Der Stundenlohn ist sicherlich kein Anreiz für inländische Arbeitnehmer. Ob der Mindestlohn reicht, um Wertschätzung und Respekt für die harte Arbeit auszudrücken, die in den Gewächshäusern geleistet wird, muss jeder für sich selbst beantworten.
Die Arbeiter aus Rumänien und Polen scheinen froh zu sein, über die Möglichkeit in Deutschland zu arbeiten. Aber was es tatsächlich für eine Familie bedeutet, wenn ein Elternteil oder sogar beide immer wieder für drei Monate getrennt von der Familie sind, kann ich kaum nachvollziehen.
Quelle: Susanne Kraatz 2020, Kurzdarstellung zur Europäischen Union, Europäisches Parlament,Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Online verfügbar:
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