Wieso funktioniert es nicht?
Seit dem Ausbruch Anfang des Jahres wollen wir uns und auch andere Menschen mit verschiedenen Mitteln wie den Mundschutz beschützen. Doch erst Ende April kam die Maskenpflicht überhaupt in den deutschen Bundesländern richtig ins Rollen. Erwartet wäre es eigentlich viel früher, nicht von der Bundesregierung, sondern doch von der Europäischen Union. Wieso kam keine Anordnung zur Maskenpflicht nicht früher von der EU?
Ein Artikel von Minh Thi B., Klasse 10 des Gymnasium Papenburgs
Es ist nicht so einfach wie jeder es erwartet, denn um eine Maskenpflicht als Gesetz überhaupt ins Leben zu rufen, musst es erst einen langen Prozess durchgehen. Grundsätzlich müssen dabei alle Interessen und Bedürfnisse der Wähler als auch der Mitgliedsstaaten berücksichtigt werden, denn solche Regeln sollen auch europaweit gelten.
Unterschieden werden zwischen zwei der wichtigsten EU-Gesetzen: Richtlinien und Verordnungen. Richtlinien sind Rahmengesetze der Europäischen Union, die eine politische Forderung an die Gemeinschaft darstellen. Allerdings müssen diese erst von den nationalen Parlamenten der Mitgliedsstaaten in ein nationales Recht, also in ein Gesetz, umgesetzt werden. Dabei gibt die EU eine Frist an. Im Gegensatz sind Verordnungen Gesetze, die sofort und unmittelbar in allen Mitgliedsstaaten gelten, wobei es keinen gewissen Spielraum bei der Umsetzung gibt für die nationalen Regierungen im Vergleich zu Richtlinien.
So heißt es in der Realität, würde die Maskenpflicht als Richtlinie eingeführt werden, so stellt sie ein zu erreichendes Ziel für alle EU-Ländern und müsste noch von den jeweiligen Staaten in einen weiteren Prozess, also die Umsetzung in ein nationales Recht, durchgehen. Würde die Maskenpflicht als Verordnung eingeführt werden, so hat sie eine allgemeine Gültigkeit und eine unmittelbare Wirksamkeit.
ABER WIE ENTSTEHT EIN GESETZ IN DER EU? – DAS ORDENTLICHE GESETZGEBUNGSVERFAHREN
Natürlich kann keine Maskenpflicht beziehungsweise ein Gesetz, aus dem Nichts entstehen, sondern es sind verschiedene Institutionen, die hart daran arbeiten. Die Macher der Regeln sind auch bekannt als das „institutionelles Dreieck“. Die europäischen Organe erlassen zusammen Gesetze nach dem „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ (auch genannt: Mitentscheidungsverfahren), einer der gängigsten und auch wichtigsten Verfahren seit der Ratifizierung des Lissabonner Vertrags.
Häufig sind auch zwei Ausschüsse im Verfahren involviert, die eine beratende Funktion besitzen. Diese Gruppen werden alle vier Jahre neu ernannt:
Der Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA) besteht aus Vertretern des wirtschaftlichen und sozialen Bereichs. Zum Beispiel wäre dies Arbeitnehmer, Handwerker Kaufleute, Landwirte und so weiter.
Der Ausschuss der Regionen (AdR) besteht aus Vertretern der unteren staatlichen Ebene der Mitgliedsländer (z.B. Länder und Kommunen).
Nehmen wir jetzt die Maskenpflicht für alle EU-Bürger und gehen das Verfahren durch – wie würde der Prozess verlaufen?
STEP ONE: DIE INITIATIVE
Die europäische Kommission schlägt ein Gesetz für eine Maskenpflicht vor. Dieser Vorschlag wird dann dem Parlament und Rat zugestellt.
Wichtig ist es zu wissen, dass sie das alleinige Initiativrecht hat, das heißt, dass sie das alleinige Recht hat, Gesetzentwürfe zur Abstimmung abzulegen. Das Parlament (und auch Bürger durch die Bürgerinitiative) kann die Kommission zwar zur Initiative auffordern, jedoch hat es ein eingeschränktes Recht. Die Kommission kann die Aufforderung verwehren, aber muss in einem Zeitraum von drei Monaten schriftlich erklären, warum sie es nicht macht.
STEP TWO: DIE ERSTE LESUNG
Wenn der Gesetzentwurf nicht den Vorstellungen des Parlaments entspricht, dann wird dies zum zuständigen Ausschuss geleitet, der sich daran darüber berät und Änderungen vorschlägt. Im Nachhinein stimmt das Parlament über den Text – die Entscheidung wird dann dem Ministerrat übermittelt. Wenn der Rat mit offizieller Mehrheit, die Änderungswünsche billigt, dann wird das Gesetz zur Maskenpflicht erlassen.
Werden keine Änderungen am Entwurf der Kommission vorgenommen, ist das Gesetz ebenfalls erlassen.
Kommt es aber doch zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen dem Ausschuss und der Kommission oder mit dem Parlament, dann werden diese Änderungsvorschläge alle in „gemeinsame Standpunkte“ begründet zusammengefasst. Diese Liste wird dann weiter in der zweiten Lesung zugestellt.
STEP THREE: DIE ZWEITE LESUNG
Hier gibt es wieder drei mögliche Fälle:
1. Wenn das EU-Parlament den „gemeinsamen Standpunkt“ des Rats mit einfacher Mehrheit billigt, dann wird das Gesetz zur Maskenpflicht erlassen.
2. Wenn das EU-Parlament mit absoluter Mehrheit die Änderungen ablehnt, dann ist das Gesetz gescheiter.
3. Das Parlament ändert die Liste noch einmal mit absoluter Mehrheit.
Bei einer Abänderung vom Parlament geht es nochmal in eine weitere Runde, indem die Kommission ihre Stellung bezieht. Billigt die Mehrheit der Minister den Gesetzentwurf in der Fassung des Parlaments, dann kann das Gesetz erlassen werden. Kommt es aber trotzdem zu einer Ablehnung von der Kommission, dann muss der Rat über diese Entscheidung einstimmig befinden. Der Vermittlungsausschuss kommt ins Spiel, wenn die Minister ‚Nein‘ zum Gesetzentwurf des Parlaments sagen.
Der Vermittlungsausschuss besteht zur Hälfte von Vertretern des Ministerrats und zur anderen Hälfte Mitgliedern des Parlaments. Dieser Ausschuss muss innerhalb sechs Wochen einen Konsens auf der Grundlage des geänderten Entwurfs vom Parlament finden. Wird kein Konsens gefunden, ist das Gesetz fürs Scheitern verurteilt.
STEP FOUR: DIE DRITTE LESUNG
Bei einer Einigung im Vermittlungsausschuss müssen dann der Rat und das Parlament noch einmal in der dritten Lesung abstimmen. Bei einer absoluten Mehrheit vom Parlament aus und einer qualifizierten Mehrheit vom Rat aus, kann dann das Gesetz in Kraft gesetzt werden. Lehnen aber letzten Endes doch beide Parteien ab, dann kann das EU-Gesetz nicht in Kraft gesetzt werden.
Die folgende Grafik zeigt das ganze Ordentliche Gesetzgebungsverfahren noch einmal einfach und komprimiert in einem Flussdiagramm dar:
Flußdiagramm „Ordentliches Gesetzgebungsverfahren“ (Infochart: Peter Diehl, München)
(Quelle: https://www.europarl.europa.eu/germany/de/europa_und_sie/das_ep/gesetzgebungverfahren.html)
KÖNNTE ES VIELLEICHT BESSER GEHEN? – MEINE MEINUNG
Wie man es vielleicht beim Lesen bemerkt hat, dauert dieser Prozess eine Menge Zeit - erst Recht, wenn alle ihre Wünsche einbringen wollen und andere Vorstellung von dem Vorhaben haben. In Bezug auf die jetzige Situation, wo viele Maßnahmen in kurzer Zeit gemacht werden müssen, ist dieses Verfahren klar im Nachteil. Dies könnte auch einer der Gründe sein, warum die Europäische Union bisher kein Gesetz zur Maskenpflicht eingeleitet hat (beziehungsweise die Europäische Union muss auch abwägen, ob es überhaupt nötig sei, denn gerade in dieser Zeit müssen sie sich auf die Wissenschaft abstützen bis sie dann politisch handeln können). Auch in Zukunft, wenn es um Verhandlungen über die Umwelt oder desgleichen geht, dann können wir keine langen Verhandlungen bis zu fünf oder zehn Jahre haben – sowas kann häufiger Schaden anrichten als kein Handeln.
Meiner Meinung nach finde ich das Verfahren theorethisch gesehen nicht undemokratisch, denn hier sind die Institutionen gleichberechtig und können ihre Wünsche und Bedürfnisse einbringen. Trotzdem ist es in gewisser Weise unfair, dass das Parlament ein eingeschränktes Initiativrecht hat und die Kommission das alleinige Recht besitzt. Die Kommission wird vom Europäischem Rat (Gremium der Staats- und Regierungschefs), Rat der Europäischen Union (Ministerrat) und indirekt vom EU-Bürger gewählt, trotzdem ist sie mehr von den Ministern und Regierungschefs beeinflusst und wirkt sich auch auf die Gestaltung der Gesetzen aus. Es ist in dieser Weise unfair, denn das Parlament repräsentiert die EU-Bürger und wenn es keine Möglichkeit hat, selber ein Gesetzentwurf zur Abstimmung abzulegen, dann können die Gesetze nicht vollständig den Wünschen der EU-Bürger entsprechen beziehungsweise sie können die EU-Bürger nicht vollständig repräsentieren, sondern die Gesetze und weiteres stehen eher im Interesse der nationalen Regierungen.
Jetzt bist du an der Reihe, um nachzudenken:
Wie denkst über das ordentliche Gesetzgebungsverfahren? Hast du vielleicht Vorschläge, wie man es besser machen kann? Und: Brauchen wir jetzt noch einen lange Prozess für die Maskenpflicht? Hinterlass dann ein Kommentar unter diesem Beitrag.
Vielen Dank, dass du es bis hierher geschafft hast! Sowas schnell nachzuvollziehen war auch nicht für mich einfach.
Definitionen:
- Absolute Mehrheit: Die absolute Mehrheit ist dann erreicht, wenn eine Person oder eine Partei mehr als die Hälfte aller Stimmen bekommt.
- Realtive oder einfache Mehrheit: Die relative Mehrheit ist dann erreicht, wenn eine Person oder Partei zwar die meisten Stimmen bei einer Wahl erreicht, aber icht mehr als die Hälfte aller Stimmen. Hierbei spricht man auch von „einfacher Mehrheit“.
- Qualifizierte Mehrheit: Bei manchen Abstimmungen im Parlament muss eine sogenannte qualifizierte Mehrheit erreicht werden. Dann ist genau festgelegt, wie groß die Mehrheit sein muss, damit ein Beschluss gültig wird.
Quellen:
- Autor: unbekannt. EU-Parlament erhält mehr Macht. Erscheinungstag: 28.01.2010, aktualisiert am 07.03.2014. Presseverlag: dpa, war, mka. Online verfügbar: <https://www.euractiv.de/section/wahlen-und-macht/news/eu-parlament-erhalt-mehr-macht/> (letzter Abruf: 12.05.2020, 12:40Uhr)
- Dinge Erklärt – Kurzgesagt. Ist die EU demokratisch? Was ist deine Stimme wert?. Erscheinungstag: 19.05.2019. Online verfügbar: <https://www.youtube.com/watch?v=c5aLYMBnFZc> (letzter Abruf: 12.05.2020, 11:54Uhr)
- Europäisches Parlament, Verbindungsbüro in Deutschland. Erscheinungsjahr: unbekannt (steht nicht auf der Website). Die Gesetzgebungsverfahren. Online verfügbar: <https://www.europarl.europa.eu/germany/de/europa_und_sie/das_ep/gesetzgebungverfahren.html> (letzter Abruf: 12.05.2020, 12:33Uhr)
- Europäisches Parlament, Verbindungsbüro in Deutschland. Erscheinungsjahr: unbekannt (steht nicht auf der Website). Ordentliches Geetzgebungsverfahren, Online verfügbar: <https://www.europarl.europa.eu/germany/de/europ%C3%A4isches-parlament/ordentliches-gesetzgebungsverfahren (letzter Abruf: 12.05.2020, 12:33Uhr)
- Schneider, Gerd; Toyka-Seid, Christiane. Mehrheit. Erscheinungsjahr: 2020. Bundeszentrale für politische Bildung. Online verfügbar: <https://www.hanisauland.de/lexikon/m/mehrheitsprinzip.html> (letzter Abruf: 12.05.2020, 12:33Uhr)
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