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Systemrelevante Beschäftigungen I

Unterbezahlt und doch wichtig. Ist das sozial?


Gerade in der Anfangszeit der Corona Epidemie war die ewige Diskussion nach sozialer Gerechtigkeit in den Medien omnipräsent. Die Frage, ob es gerecht sei, dass Arbeitnehmer in systemrelevanten Jobs, wie der Pflege oder in den Supermärkten, für einen Hungerlohn arbeiten, während Manager und Investmentbanker hohe Gehälter für vermeintlich wenig Leistung einstreichen, ist dabei eine der grundlegenden Themen dieser Diskussion. Als geringfügig Beschäftigter in einem Supermarkt erfahre ich persönlich, den Stress, den man aktuell in dieser Zeit ausgesetzt ist und die geringe Bezahlung am eigenen Leib. Doch leistet ein*e Manager*in mehr als ein*e Pfleger*in und umgekehrt?

Ein Artikel von Jannik H., Jahrgang 12 des Gymnasium Papenburg


Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Gert Georg Wagner ist der Meinung, dass der Leistungsvergleich in der Marktwirtschaft keinen Platz habe. Dies liegt daran, dass man die individuelle Leistung kaum bis gar nicht messen kann, da es keine wirklichen Kriterien dafür gebe. Wagners Gegenfrage in einem Interview in der Frankfurter Rundschau vom 19.4.2014 auf die Frage des nicht messbaren Leistungsvergleich, beantwortet die Frage eigentlich sehr gut: Eine Pflegekraft die einen Patienten in 10 Minuten anzieht und eine Pflegekraft die einem Patienten hilft sich selbstständig anzuziehen und dafür 20 Minuten braucht, erbringen auf den ersten Blick die gleiche Leistung. Muss man diese nun aber Bewerten, ist es schwer Kriterien zu finden, nach denen die Pfleger*innen bewertet werden können. Die Frage, wer mehr leistet ist vielleicht noch quantifizierbar, aber wenn es darum geht, wer nun eine höhere Qualität erbringt, ist dies nicht mehr so leicht zu beantworten. Aus wirtschaftlicher Sicht ist eine schnell arbeitende Pflegekraft effizienter, da sie mehr Arbeit in weniger Zeit verrichten kann. Aus sozialer Sicht ist eine fürsorgliche und damit langsamer arbeitende Pflegekraft wünschenswerter, da sie die Patienten unterstützt und sich für sie mehr Zeit nimmt (Gert Georg Wagner 2014: 186 f.).


Man merkt also, dass ein Leistungsvergleich nicht objektiv sein kann. Er hängt immer von der Sichtweise des Bewertenden ab. Daraus folgt, die Kernthese Gert Wagners, die ich auch teile, dass die unterschiedliche Bezahlung des Investmentbankers und der Pflegekraft nicht auf die individuelle Leistung begründet ist, sondern nur auf den Umsatz, den der jeweilige Angestellte macht. Während ein Investmentbanker durch eine kluge Investition der Bank mehrere Millionen an Umsatz an nur einem Tag bescheren kann, sind die wirtschaftlichen Erfolge einer Pflegekraft oder eines Supermarktangestellten gering (Gert Georg Wagner 2014: 187).


Auch spielt die Bildung bei der Bezahlung eine große Rolle. Je gebildeter ein Mensch ist, desto mehr Chancen hat er (Marcel Fratzscher 2016: 194). Ein Investmentbanker, der jahrelang in sein Humankapital, in Form eines Studiums investiert hat, hat mehr Chancen als jemand, der eine Lehre abgeschlossen hat. Dies ist darauf begründet, dass nahezu jeder studierte Manager auch die geistigen Fähigkeiten besitzt, ein Supermarktregal einzuräumen oder eine Ausbildung in der Pflege zu absolvieren, aber im Umkehrschluss nicht jeder Kassierer an der Börse spekulieren kann. Eine Leistungsgerechtigkeit, die Leistung als sozialen Beitrag zur Gesellschaft misst und nicht etwas als monetär-akademische Wertschöpfung versteht, würde aber dazu anregen, dass es weniger Bankiers, Börsenmakler oder Manager gibt. Da sie zwar eine große wirtschaftliche Verantwortung tragen, aber auf den ersten Blick nur einen kleinen Beitrag zu unserer Gesellschaft beitragen. Ferner würden wahrscheinlich viel mehr Menschen einen Beruf in der Pflege anstreben und das Gehalt der Pfleger*innen würde fallen. Dies liegt daran, dass dann ein hohes Angebot an gutem Pflegepersonal auf eine begrenzte Anzahl an Stellen hat und die Pflegeeinrichtungen sich das Personal aussuchen können, das für das geringsten Gehalt arbeitet.


Allerdings ist es trotzdem nicht sozial, aus dem Grund des fehlenden Ansporns nicht auch nach der sozialen Leistungsgerechtigkeit zu bezahlen. Eine Pflegekraft erwirtschaftet zwar keinen wirtschaftlichen Profit, aber dafür einen unglaublich hohen sozialen und humanen Profit. Gerade in Zeiten von Corona und social distancing merken wir, wie wichtig dieser Art des Profits ist.


Ferner sehe ich eine erhebliche soziale Ungerechtigkeit in diesem Konzept der Bildung. Auf der einen Seite gibt es eine Aufwärtsspirale, die ein Arbeitnehmer einschlagen kann, wenn er in sein Humankapital investiert, also ein Studium oder eine Fortbildung abschließt. Auf der anderen Seite eine Abwärtsspirale, wenn ihm diese Chancen verwehrt bleiben. Dies liegt daran, dass Menschen mit einem geringen Einkommen weniger Chancen auf Bildung haben. Dadurch bleibt ihnen die Chance, sich weiter zu bilden und ihr Humankapital voll und ganz auszunutzen, verwehrt. Dies ist sowohl für sie als auch für die ganze Gesellschaft von Nachteil, da sie die Wirtschaft nicht optimal ankurbeln können, wie es in ihrer eigentlichen Fähigkeit liegt (Marcel Fratzscher 2016: 194).

Des Weiteren kann unsere Marktwirtschaft nicht funktionieren, wenn alle gleich viel verdienen oder es nur einen geringen Einkommensunterschied gibt. Da zum Beispiel höhere Steuern weniger Motivation und eine erhöhte Trägheit der Spitzenverdiener*innen zur Folge hätten, die für mehr Arbeit weniger erhalten würden. Weder Investitionen in ihr eigenes Humankapital noch Investitionen in ihr Unternehmen würden sich noch für sie rentieren und ohne Investitionen in ein Unternehmen gibt es weniger Wachstum (Rainer Hank 2007: 194). Weniger Wachstum, in einer auf Wachstum ausgelegten Wirtschaft, würde diese nur Schwächen. Ferner braucht unsere Wirtschaft auch geringfügige Beschäftigung, um zu wachsen. Steueroasen wie in Luxemburg würden dadurch nur noch attraktiver werden und große Firmen zur Abwanderung verlocken. Dies würde der sowohl der Wirtschaft als auch der Gesellschaft schaden, da große Summen an Steuergeldern nicht mehr eingenommen werden.


Am Beispiel eines Supermarktes lässt sich die Bedeutung von geringfügiger Beschäftigung für die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens besonders gut erkennen. Ein normaler Supermarkt, in dem keine Angestellten in geringfügiger Beschäftigung arbeiten, sondern nur festangestellt, ist wenig wirtschaftlich, da er viel weniger Umsatz erzielt und so weniger Investitionen tätigen kann. Auch würden dort weniger Angestellte arbeiten können, als mit solchen Geringverdienern. Des Weiteren wären die Preise für Lebensmittel viel höher und eben die Personen, die bereits jetzt schon beim Einkauf jeden Cent zweimal umdrehen müssen würden, noch mehr darunter leiden.


Aus eigener Erfahrung als geringfügig Beschäftigter in einem Supermarkt, kann ich aber sagen, dass die Höhe des Lohnes der erbrachten Leistung nicht immer entspricht, da man teilweise unter hohem Stress, sowohl die Wünsche der Filialleitung (schnell die ganze Ware einzuräumen) und gleichzeitig der erste Ansprechpartner der teils mürrischen Kunden ist. Dabei ist man für aktuell 9,35€ Stundenlohn in den Augen der Kunden Sündenbock für alles, was ihnen den Einkauf erschwert, oder an Ware, aufgrund von Hamsterkäufen, fehlt. Auch wenn ich mich sehr über die Erhöhung des Mindestlohns von 8,84€ auf mittlerweile 9,35€ freue, wurde die Verdienstgrenze von 450 Euro bis jetzt nicht an den steigenden Mindestlohn angepasst. Dies hat zur Folge, dass geringfügig Beschäftigte im Supermarkt, vor allem in der Coronakrise, nun Gefahr laufen, versteuert zu werden und so mehr Stunden arbeiten und am Ende des Monats weniger verdienen. Dennoch finde ich, obwohl ich selbst von dieser vermeintlichen Ungerechtigkeit betroffen bin, dass teilweise solche niedrigen Löhne gerechtfertigt sind, weil diese Jobs eigentlich fast jeder ausüben kann und sich die Löhne, wie auch die Preise in der sozialen Marktwirtschaft, auch nach Angebot und Nachfrage richten. Bei dieser Analogie senkt jedoch die Simplizität des Jobs den Preis. Das bedeutet, dass Berufe, die jeder ohne viel Bildung ausüben können, auch weniger bezahlt werden, da es immer jemanden gibt, der für weniger Lohn diesen Job ausüben würde.


Trotzdem bleibt immer noch die Frage, ob es sozial ist, dass systemrelevante Jobs, wie Pfleger*innen, ob nun im Krankenhaus oder Pflegeheimen, Doppelschichten schieben müssen für einen Hungerslohn, der gerade so zum Überleben reicht? Wie man schon lesen konnte, bin ich zwar ein Befürworter von Lohnunterschieden, die auf den ersten Blick ungerecht scheinen. Dennoch bin ich der Meinung, dass viele dieser systemrelevanten Jobs unterbezahlt werden und dies nicht gerecht ist. Nur weil man für den Beruf des Pflegers/ Pflegerin zwangsläufig kein Studium absolviert haben muss, braucht man einen hohen Grad an Bildung, um auch schwerkranke Patienten adäquat zu behandeln. Des Weiteren ist Empathie ein Charakterzug, der meiner Meinung nach schwer zu erlernen ist, dieser ist mindestens genauso wichtig wie die Bildung in diesem Beruf. Aufgrund dieser hohen Voraussetzung an Bildung und charakterlicher Stärke, sehe ich es als unumgänglich, dass dieser Beruf besser bezahlt werden muss. Meiner Einschätzung nach würden neue Tarifverträge mit einem weitaus höheren Mindestverdienst, in dieser Branche für soziale Gerechtigkeit sorgen.


Wird die Pflege jedoch noch teurer, können sich viele keine adäquate Pflege mehr leisten und viele müssen sich dann neben ihrem Beruf auch noch um ihre pflegebedürftigen Verwandten kümmern. Dies würde ein neues gesellschaftliches und evtl. auch wirtschaftliches Problem werden. Da bei schwerverlaufenden Krankheiten die Personen zwischen ihrem Beruf und der Pflege der Angehörigen entscheiden müssten. In meinen Augen würde dabei häufig der Job für die Pflege gekündigt werden.

Steuersenkungen für Geringverdienende hingegen wären eine förderliche Alternative für mehr Gerechtigkeit. Die entfallenen Steuereinnahmen könnte man dann durch eine Erhöhung verschiedener Steuern, wie der Luxussteuer, der Alkoholsteuer oder der Tabaksteuer ausgleichen und gleichzeitig würde die Kaufkraft in den unteren Einkommensklassen wieder ansteigen, was die Wirtschaft ankurbelt.


Zusammenfassend kann man sagen, dass die These, dass systemrelevante Beschäftigungen unterbezahlt, aber dennoch wichtig sind, viel zu pauschal ist, weil viele der systemrelevanten Jobs, wie Kassierer, von jedem ausgeübt werden können und eine zu hohe Vergütung nicht mehr wirtschaftlich wäre. Dennoch gibt es trotzdem Branchen, die für unsere Gesellschaft unerlässlich sind und dafür zu wenig Geld bekommen, wie die der Pflege. Kurzfristige oder undurchdachte Maßnahmen wie stumpfes Erhöhen der Gehälter/ Löhne würde auf langer Sicht zwar den Arbeitnehmern mehr Gerechtigkeit verschaffen, aber insgesamt würde sich das Problem nur verschieben. Deswegen sehe ich die Politik in der Pflicht zu handeln und nicht durch einmalige Boni, wie aktuell in der Coronakrise, die Diskussion vom Tisch zu räumen, sondern langfristige Lösungen, wie Steuersenkungen ein zu führen, um eine gerechtere Verteilung des Kapitals in unserer Gesellschaft zu erlangen.


Quellen:


Fratzscher, Marcel. 2016 Verteilungskampf. München.


Hank, Rainer. 2007 Warum ist Ungleichheit prima? Frankfurt: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 30.5.2007


Wagner, Gert, G.. 2014 Interview: Stephan Kaufmann, Eva Roth Frankfurt: Frankfurter Rundschau

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